28 Oktober 2003

Party voller Spinner

La signora hatte ab Morgen zwei Tage Regen vorhergesagt. Deshalb heute nach dem Frühstück gegen 10 Uhr bei bedecktem, aber trockenem Wetter aufgebrochen in Richtung Greve.

Von dort über Castellina in Chianti Richtung Siena, vorher aber westwärts nach Volterra.

Westlich der Achse Florenz-Siena verändern sich sowohl die Landschaft als auch die, die dort weilen. Die grüne, hügelige Gegend verwandelt sich in wenig bewaldete, intensiv bewirtschaftete Ackerflächen. Da Ende Oktober liegen diese brach und die Landschaft ist braun. Plötzlich viel mehr Touristen unterwegs, auch in Wohnwagen. Hauptsächlich Deutsche, dann Franzosen, jeweils ein Engländer, Belgier und Holländer. In Volterra gegen Mittag angekommen. Auf den bergigen, kurvigen Strassen läßt sich ein Schnitt von etwa 50 km/h erreichen. In Volterra Stadtbummel und an einem Cafe am Markt ein Panino mit Pecorino-Käse und einen Cappuccino. Jüngerer Barbesitzer, sehr schweigsam und introvertiert, auch gegenüber seiner kleinen Tochter. Touristen trinken Cappuccino, Italiener Espresso.

Hübsche Stadt, deutlich auf Touristen orientiert (SPIEGEL gekauft). Eine der Hauptattraktionen ist der Alabaster, der bei Volterra gebrochen wird und der in jeder noch so kitschigen Form (kleine Engelchen sind sehr beliebt) an die Idioten verramscht wird. Am Marktplatz ein Verkaufsgeschäft einer "Kooperative der Alabasterkünstler Volterras" oder so ähnlich. Ein grosses, helles Ladengeschäft, das meine Aufmerksamkeit auf sich zieht wegen einer im Fenster ausgestellten Schale. Sie ist natürlich auch aus milchigem Alabaster, enthält aber grosse eingesetzte Stücke aus farbigen Steinen. Effektvoll von unten beleuchtet, chargieren diese Stücke ihre Farbe je nach Beleuchtung. Ein überaus schönes Stück, das aus dem Ramsch merkwürdig hervorsteht. Kein Mensch interessiert sich dafür. Die gelangweilte Bedienung dreht auf meinen Wunsch die Schale um und liest die Zahl "324" ab. Leider habe ich meine Kreditkarte im Haus gelassen. Leise fluchend ziehe ich meiner Wege. Weiter gegen 14 Uhr auf kleinen Landstrassen Richtung San Gimignano. In dieser Gegend sehr viel Tourismus. Vor der Stadt an einer kleinen Einfahrt zu einem Stück Feld angehalten und ein Photo von den Türmen gemacht. Selbst dort ist im hohen Gras der Pfad zu einer guten Photostelle schon von tausend Füssen vor mir ausgetrampelt. Das Photo wird also auch keinen besonderen Seltenheitswert haben.

San Gimignano von Fernem

In San Gimignano soll ich für einen Parkplatz bezahlen, da stelle ich das Auto lieber an einen Abhang und hoffe, daß es noch da ist wenn ich wiederkomme. Aufstieg in die Stadt über eine Treppe am Hang. In der Stadt alles Fußgängerzone und viele Touristen. Sehr hübsch gemacht aber überlaufen. Vorherrschende Sprache ist Deutsch. Von unten verlieren die Geschlechtertürme ihre Ausstrahlung etwas, da immer nur wenige oder einer gleichzeitig zu sehen sind. Insgesamt mit Geschmack erhaltenes Städtchen. An einem Brunnen sitzt ein junger Mann und spielt Jazzstücke auf seiner Gitarre. Kinder stehen staunend um ihn rum. Man kann sie nicht früh genug an die richtige Musik gewöhnen. Ich setze mich ein paar Minuten auf die Treppe vor dem Dom und schaue mir die Piazza an. Dann weiter Richtung Siena in beginnendem Regen, von dort die Abkürzung über Castellina nach Montevarchi. In Castellina in Chianti kurz Halt gemacht, weil mir die Gegend bekannt vorkam. Kurzer Spaziergang durch die verlassene Stadt im Nieselregen. Auch hier war ich 1992 schonmal, wir hatten in einer noch nicht fertig ausgebauten Ferienwohnung unterhalb der Stadt unsere Zelte aufgeschlagen. Beim LIDL in Montevarchi nochmal 90 Liter Pflanzenöl gebunkert, darunter ein Karton Erdnussöl, eine besondere Spezialität, die ich mir für den nächsten Sommer aufbewahren werde. Kurz das Auto untenrum saubergemacht. Abends ist eine Schwester des signore aus Castelfranco zu Besuch. Abendessen also zu Viert. Zunächst Spaghetti Aglio e Olio con Pepperocini. Meine Gastgeber sind verwundert, daß ein Deutscher Spaghetti nur mit der Gabel essen kann. Anschliessend ein gutes Gulasch, dazu kalter Spinat in Olivenöl und Brot. Anschliessend ein Stück lockerer aber trockener Nuss-Schokoladen-Kuchen, wie er traditionell in Italien bei Hochzeiten gegessen wird. Einfache Konversation. An der Stelle des Hauses, in dem ich wohne, gehen Fundamente bis ins Jahr 1000 zurück. In meiner Wohnung mit dem grossen Kamin ist der signore zur Welt gekommen. Er hat das grosse Haus schon "als Jüngling", also vor vielen Jahren, zu Ferienwohnungen umgebaut. Unterhaltung über Hersteller von Stoffen in der Region Arezzo (gibt einen guten Laden in Arezzo). Familiengeschichten, darunter der Gedanke an spätere Lebensplanung. La signora besitzt noch eine komplett eingerichtete grosse Wohnung in Castelfranco, will dort aber nicht leben, sollte sich die Situation in ihrem Anwesen verändern. Schon vor 9 Uhr zurück ins Haus. Dort noch ein Glas Wein getrunken und bis gegen 12 Uhr gelesen (Seite 800-irgendwas, darunter die hundertseitige Schilderung einer Party voller Spinner).