30 Mai 2008

Eine Landpartie

Ein frühes Frühstück schon um halb acht, denn um 9 bin ich bereits wieder in Fiorano Modenese - Besprechungen, Besprechungen. In der Nacht hat es geregnet und es ist jetzt viel viel angenehmer und kühler in Norditalien, wenn wir Modena dazuzählen dürfen. Die Führung durch das kleine Werk dauert ein paar Stunden denn hier ist alles sehr interessant, sie produzieren Feuerfestmassen aus recht abwechslungsreichen Rohstoffen, ein feines mittelständisches Unternehmen. Die Belegschaft trifft sich zum Stehplausch im Kaffeezimmer und die Gäste - wir - werden nur an einem Kriterium gemessen: schätzen wir Espresso? Als einziger Nordeuropäer gelingt es mir, mich zu integrieren. Ich falle nicht weiter auf.

Nach dieser Besprechung bin ich nun einmal zufällig in Modena und habe ein Auto dabei. Was daraus machen? Über Landstraßen und ein Stück Autobahn führt mich mein Fiat nach Mantua (Mantova) bei allerschönstem Wetter. Mantua kenne ich bereits, diesmal bin ich nicht alleine sondern es sind auffällig viele Touristen unterwegs, aber das macht nichts, hier bin ich richtig.

Einen großen Streuselkuchen zum Mitnehmen (er wird kürzer halten als ich dachte) und einen kleinen Streuselkuchen für sofort (piccola piccola), der hält genau so lange wie ich dachte. Schräg gegenüber gibt es ein Cafe, da serviert man das passende Getränk dazu. Ein paar Massen treiben vorbei, es lebt sich trotzdem gut.

Noch vor der Mittagspause gelange ich in den Dom, den ich auch schon kenne aber sehr schätze, denn er ist immer recht dunkel und ziemlich groß. Die Dunkelheit wirkt am Abend mehr, die Größe auch, denn dann ist er leer. Links vom Domportal gibt es noch den Zeitschriftenladen, und er hat noch die alten Postkarten aus den 60ern mit dem schwarzen /8 drauf. Da habe ich dann meinen Vorrat an diesen Karten gleich mal aufgestockt.

Zur Mittagszeit treibt es mich wieder heraus aus Mantua, der schönen Stadt, in den klimatisierten Fiat und südwestlich noch einmal nach Sabbioneta, auch eine schöne Stadt und mit Mantua so interessant verwoben. Hier ist dann niemand außer mir, und so setze ich mich ein wenig zwischen die Säulen in den kühlenden Wind und lese

bis eine alte Italienerin vorbeikommt und mich ermahnt, ich würde mich dort erkälten. Nun gut, also Spaziergang und Katzen streicheln. Von Sabbioneta weiter über Nebenstraßen durch die Po-Ebene, an kleinen Kanälen entlang, mühsam befahren, manchmal regnet es kurz, immer ist es jetzt draußen sehr schwül. Kurz vor Parma eröffnet sich zur Linken ein ersehntes Panorama, man lässt mich nicht näherkommen aber in der schwül-heißen Luft der Poebene steht sie einfach so da, die Kartause von Parma.

Sie heißt eigentlich anders, aber Stendhal meinte genau sie. Die Kirche soll leer und schön und zu Kunstveranstaltungen zugänglich sein, die sich einem Nordeuropäer nicht so schnell erschließen, der Rest ist bewohnt.

Über irres Straßengewirre zurück nach Modena, zwei Glas Bier zum Abend, zwei Stück beste Pizza und noch ein wenig im Trubel auf den Strassen herumgeschwirrt, es wurde nicht spät, ich sank todmüde ins Bett.

29 Mai 2008

Die Sorgen, die Sorgen

Des Morgens ist es bereits ziemlich warm. Zum Frühstück treffe ich mich mit einem Mädchen aus Sardinien. Uns verbindet manches (auch sie weilt dienstlich in Modena), uns trennt vieles (sie friert). Ich muss noch viel lernen. Nach dem Frühstück fahre ich die kurze Strecke nach Reggio Emilia und schaue mir bei schönem Morgenlicht die Stadt noch einmal an. Die Italiener sind bereits sehr geschäftig, Bauarbeiter zerschlagen die Straßen, Frauen besorgen die Einkäufe. Der Dom ist leider wegen Restaurierung nicht in seiner ganzen Pracht sichtbar, andere Kirchen mit lauernden Löwen entschädigen dafür. Immer wieder schön die grandiose, damals bedeutendste Via Emilia, die alle Städte geradewegs durchschneidet, in Reggio Emilia aber um einen Palazzo einen Knick machen muss. Wichtige Leute werden dort gewaltet haben.

Nach dem Streifzug durch die Stadt (Espresso, Zeitung, Arkaden) zurück nach Modena gegen 13 Uhr und ein kleines Mittagessen im Juta Cafe, dann Krawatte und Anzug (Italien!) und zur Besprechung nach Fiorano Modenese, in die Stadt der (modernen) Keramik. Besprechungen mit Italienern sind immer nett, die Espressomaschine ist nie weit, die Stimmung freundlich, die Diskussion respektvoll, die Klimaanlage eingeschaltet und eine Zigarette zum Espresso gibt es dann unten in der Werkshalle. Dann ist es schon 7 und die Entourage bricht auf zum Abendessen ins "Montana" in Spezzano di Fiorano, direkt am Circuito di Modena gelegen.

Vor der Tür parken schon die (straßenzugelassenen) Ferrari, drinnen amüsieren wir uns mit Nudeln in Brodo, Rindfleisch in Balsamico, viel Süßkram, Wasser und Wein und unterhalten uns über Boote und Restaurants. Immer wieder spannend, dass das Wissen um ein gutes Restaurant auf dem Lande den Bonuspunkt in einer Unterhaltung zwischen Arbeitskollegen bringt. Ein sympathisches Land. Draußen tobt ein mächtiges Gewitter und es regnet fürchterlich auf die Ferrari, wir schauen uns dann, einmal abgetrocknet, noch das Ferrariwerk von außen an und fahren an der Galleria in Maranello vorbei, in der schwarzen Nacht ein windiges Erlebnis. Die Gäste wohnen im Hotel in Fiorano, ich in meinem Palazzo in Modena, wir trennen uns nach einem ereignisreichen Tag.

28 Mai 2008

Wieder in den Apennin

Nach dem langen Abend ein langes Frühstück bis 11, dann zum Spaziergang in die Stadtteile südlich der Via Emilia und ein paar Buchläden besucht aber nichts gekauft. Es ist wieder bedeckt und ein wenig sonnig und mittags dann sehr warm. Also wieder ins Auto und wieder in den Apennin, diesmal weiter rein über Montefiorino und Piandelagotti bis zum Pass von Radici, der gleichzeitig die Grenze zwischen der Emilia Romagna und der Toskana darstellt und wo es bei aller Sonne wieder etwas kühler war. Puccini floh ja auch im Sommer gerne in den Apennin, nur er natürlich von Süden, von Lucca aus, nach Bagni di Lucca oder Abetone. Auf dem Pass von Radici ist heute aber außer ein paar Motorradfahrern keiner da.

Auf dem Pass habe ich kehrt gemacht und bin über eine winzige Straße nach San Pellegrino, einem winzigen Dorf mit Kloster nun mitten im Apennin.

Die Gegend erweist sich als weniger gebirgig als erwartet, man denkt bei Gebirge ja an die Alpen und erwartet also auch hier bitteschön schroffe Felsen, aber auf einigen Bergkuppen blitzt oben doch Schnee und unten ist alles ganz entspannt.

Ich bin nicht der erste, der sich diese Gedanken macht.

Die Gebirgskette des Apennin besteht aus einer Folge von dürren, verwitterten und stark abgeschürften Hügeln, rauhen Bergkuppen und räudigen Anhöhen, die an Kies- und Schotterhaufen erinnern; vergeblich halten wir Ausschau nach den riesigen Felsen, steilen bewaldeten Gipfeln und wolkenumsäumten Bergspitzen, die silbern im Schnee glänzen, kein Wasserfall, in dem der Regenbogen spielt, nicht ein türkisblauer See, aus dem Gemsen trinken, keine Adler, die ihre Kreise am Himmel ziehen; - der Apennin ist nichts als ein Stück armer, karger, unfruchtbarer Natur, deren Schäbigkeit besonders ins Auge sticht, nachdem man die majestätische Bergwelt der Schweizer Alpen und die romantischen Schrecken des Gondo-Tals erlebt hat, das von solch grandioser und furchteinflößender Schönheit ist. Théophile Gautier, 1850

Von San Pellegrino führt eine wunderbar verwinkelte kleine Straße in die Toskana runter. Aber diesmal nicht. In San Pellegrino selber ist der Straßenbautrupp unterwegs (der aus der Toskana, mittlerweile ist die Regionengrenze wieder überschritten) und führt ein ausgesprochen angenehmes Leben. Es ist nicht zu warm, ein Teil der Arbeit (Straßenmarkierungen erneuern) ist getan und man sitzt friedlich zusammen vor der einzigen Bar beim Bier und schwatzt. Sonst ist niemand unterwegs. Die kleine Kirche ist kühl und leer und klein.

Zurück in Modena hat es weniger angenehme 33 Grad also zur Abkühlung ein Bier vor dem Juta Cafe zu The Cinematic Orchestra - Live at the Royal Albert Hall - Breathe... HALT. Also das muss man mal genauer nachfühlen. In dieser Fassung stark reduzierte Musik, sanft getragen, in großem Rahmen. Draußen ist es warm und wenn irgendeine Musik passt dann diese... ... dann Spaziergang zu einer studentischen In-Ecke im südöstlichen Teil der Altstadt, wo auf der Straße der Bär steppt. Mitten im Gewusel ist es bei noch einem Bier ganz erträglich, natürlich ist es nicht mehr diesig sondern abendsonnig und dann gibt es zwei gute Stücke Pizza auf die Hand und noch ein Bier in der Nähe vom Palazzo

bis in den späten Abend.

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27 Mai 2008

Kultur und Flucht in die Berge

Des Morgens ist es wieder gleichzeitig sonnig und diesig und warm. Im Laufe des Tages wird es dazu ein wenig windig werden. Und sehr warm. Man könnte glauben, die Keramikproduzenten in Fiorano Modenese haben ihre Brennöfen aufgeklappt. Aber erst Frühstück mit Caffe, Panino, Marmelade und Hörnchen (mit Cremefüllung, wir sind ja in Italien und es muss süß sein).

Danach mache ich ein wenig in Kultur. Der Palazzo dei Musei ist nur wenige Schritte entfernt. Direkt angebaut ist die Kirche von Sant'Agostino, innen stark überformt. Aber ich will ja ins Museum, und davon gibt es hier gleich mehrere.

Ich starte mit der Biblioteca Estense (der Schlüssel muss erst noch gesucht werden, dann ist die Kasse weg, aber alle sind sehr nett), ein nicht zu großer Raum mit Bücherregalen ringsum und etwa zwanzig Vitrinen, in denen besonders schöne Stücke aus dem Zeitraum 10. bis 16. Jahrhundert ausgelegt sind. Und schön sind sie wirklich, mit herrlichen Ausmalungen. Aus allem sticht hervor die Bibel des Borso aus der Familie Este. Ganz fein. Danach eine Etage höher in die Galleria Estense, die Reste der Kunstsammlung der Este. Ein großes Museum, leer von Menschen, leer auch von einigen verliehenen Bildern, modern und ansprechend gestaltet. Wenn man sich gerne Madonnen anschaut ist man hier richtig. Gute zwei Stunden vergehen nicht nur mit Bildern, sondern auch mit Skulpturen und Porzellan. Am liebsten mitgenommen hätte ich die Flora von Cignani. Von Cignani hängt auch noch ein wunderhübsches Bild in der Gemädegalerie Alte Meister in Dresden.

Nun ist draußen schon deutlich wärmer geworden. Also ins Juta Cafe unter die Markisen in den leichten Sommerwind und eine erfreuliche Bresaola mit Artischocken, Rauke und Parmesan zu Mittag gegessen. Und es wird wärmer. Der Tourist aus dem Norden verbindet das Angenehme mit dem Angenehmen und flieht ins Auto. Mit Klimaanlage. Und fährt - weiter gen Süden. Ist nicht so bekloppt wie es klingt denn im Süden von Modena kommt man gleich hinter Maranello in die Berge, dem Ausläufer des nördlichen Appenins, und dort ist es grün und schön und auch ein wenig kühler.

Den ganzen Nachmittag verbringe ich hier und fahre auf und ab und gelange schließlich nach Monteveglio, einem kleinen Städtchen fast schon bei Bologna, am Fuße eines Berges gelegen. Dort führt eine Straße hinauf nach Monteveglio Alto, das ist dann ein sehr altes, sehr kleines und sehr stilles Dorf. Heute auch ein sehr warmes Dorf. Und es hat eine Abbazia. Und, natürlich, eine Kirche. Und zwei Restaurants. Und ein "Bed and Breakfast". Hier kann man sich so richtig nett zurückziehen. Keiner stört. Keiner bringt Mittagessen.

Zurück in Monteveglio ist man schon wieder in der Ebene, es ist Feierabend. Auf dem Rückweg nach Modena schaue ich noch kurz in San Cesario sul Panaro vorbei, einer leider vom Verkehr nicht geschonten Kleinstadt bei Modena, und werfe einen Blick in die romanische (1112 begonnene) Kirche San Cesario. Dort ist es romanisch, dunkel, streng und kühl. Sehr angenehm.

Wieder in Modena genieße ich den Feierabend, kühle mich mit zwei Gläsern Prosecco und einem Buch und mache dann den vorabendlichen Stadtspaziergang zum "Il Fantino", das Tortellini mit Ricotta und Rotwein für mich hat. Hier treffe ich zum ersten Mal auch Touristen in spürbarer Menge. Der große zusammengestellte Tisch für 15 ist aber für einen Geburtstag, das Geburtstagskind ist ein Mädchen von vielleicht 14 Jahren (schwierig zu sagen bei Italienierinnen) und sie hat ihre Freundinnen mitgebracht. Mama und Papa bewachen wohlwollend das Fest, das lustig und erstaunlich gesittet abläuft. Leider war das Essen nicht vollends überzeugend. Der Abendspaziergang führt also zu meinem Palazzo zurück, direkt daneben beginnt die Via Taglio und ein kleiner Platz ist Fußgängerzone, dort hat ein kauziger älterer Italiener einen Weinladen und hat ein paar Tische auf den Platz gestellt. Jetzt passt auch langsam die Temperatur, aus dem Laden klingt Avro Pärt, die Nacht folgt dem Tage und ich lese noch ein wenig und unterhalte mich mit dem Wirt über Antonio Delfini. Er erzählt, dass die Stadtsparkasse von Modena jährlich einen Literaturpreis unter seinem Namen vergibt. Ansonsten solle ich nicht auf besonders viel Zuneigung der Modenesi für ihn setzen.

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26 Mai 2008

Modena, Nonantola, Carpi und die Po-Ebene

An diesem Montagmorgen ist es warm und bedeckt. Andeutungen der tiefen feuchten Nebel der Po-Ebene ziehen auch durch das Zentrum von Modena. Wenn im Herbst der richtige Nebel kommt, sieht man in Modena nicht vom Barfenster zum Straßenrand. Delfini erzählt davon. Heute zog mich der Spaziergang nach dem Frühstück zunächst in den Stadtteil südlich der Via Emilia.

Auf der Karte von Modena ist die letzte, im 16. Jahrhundert geschaffene Stadtbefestigung heute an den doppelten Hauptstraßen um die Innenstadt zu erkennen, von denen die jeweils innere dem Verlauf des damals erbauten Mauerrings folgt ("III" in der Karte). Vor dieser Befestigung gab es bereits zwei ältere - eine aus dem 14. Jahrhundert ("II" in der Karte) die fast der neueren gleicht, aber den Bereich nördlich des damals noch nicht erbauten Palazzo Ducale aussparte und somit unbebautes Gebiet umfasste, was wohl Gärten gewesen sein dürften - und eine aus dem 11. Jahrhundert ("I" in der Karte), die ein bis zwei Straßenzüge enger um das Zentrum führte als die späteren Befestigungen. Neben der zeitlichen Gliederung der Stadtentwicklung durch den Befestigungsbau förderte die Herrschaft der Este in Modena die Vergrößerung der ursprünglichen mittelalterlichen Stadt nach Norden durch den Palazzo Ducale und nach Osten durch den Bau des großzügigen Corso Canal Grande, beide noch innerhalb der Stadtmauern des 14. Jahrhunderts. Der Corso Canal Grande ist im Stadtplan auffällig, er gibt Modena etwas unregelmäßiges. Heute ist diese breite prächtige Straße ihrer Bedeutung und auch einer besonderen Verwendung beraubt.

Der vormittelalterliche Stadtkern von Modena lag südlich der Via Emilia, dort steht der Dom, und von dort breitete sich die Stadt in Richtung Süden und dann auch nach Norden aus. Dabei erscheint die Stadtentwicklung im Süden früher und ungeregelter, während die Straßen im Norden der Via Emilia einem rechtwinkligen Muster folgen. Auch finden sich im Norden, bis auf eine Ausnahme, keine Arkaden an den Straßen.

Viele der Straßen im mittelalterlichen Teil südlich der Via Emilia sind dagegen mit Arkadengängen versehen, es ist ruhig dort und ab und zu findet sich ein Laden oder ein Restaurant. Erst zurück am Marktplatz wird es beim Spaziergang wieder lebendiger, hier liegt auch die Markthalle. Darin eine Orgie von Gemüse, Fleisch, Fisch, Brot und Käse. Erfreulich lebendig ist es darin, ein Beweis dafür, dass sich noch nicht alle Italiener ihre Lebensmittel im Supermarkt vor der Stadt besorgen. In der Altstadt von Modena gibt es keine Lebensmittelläden (negozii), der Einkauf findet auf dem Markt statt.

Zufrieden und ob der zunehmenden Temperaturen leicht erschöpft ziehe ich mich mit einem Buch und einem Espresso auf die Terrasse einer Bar in der Via Taglio zurück. Von dort ist es nur ein kleiner Spaziergang zum Mittagessen bei Ermes [Flickr]. Ermes ist einer der letzten. Von den vielen kleinen Trattorien, die noch vor 20, 30 Jahren die Straßen Modenas gesäumt haben müssen, ist nur er noch übrig geblieben. Statt der Trattorien sind da heute Pizzerien, China-Imbisse, Restaurants, auch viele gute, aber über die traditionell einfache Trattoria oder Osteria schon deutlich erhoben selbst wenn sie sich noch so nennen. Nur bei Ermes gibt es seit vier Jahrzehnten einen engen Raum mit fünf Tischen, darin etwa 30 glückliche Menschen, vor sich die Kochkunst von Ermes Frau, die sie glücklich macht. Ein Familienbetrieb, ziemlich rustikal geführt, keine Karte sondern zwei oder drei täglich wechselnde Angebote. Der helle gekühlte Lambrusco steht sofort auf dem Tisch. Vorspeise essen die Emilianer nicht, also geht es mit Tagliatelle mit Ragu los (die Nudeln sind handgefertigt und ganz frisch) und mit Involtini mit Piselli (Rouladen mit Erbsen) weiter. Zum Nachtisch ein Stück Schokoladenkuchen, einen Espresso und noch ein Schwatz mit den Studenten am Tisch. Alles zusammen für einen, sagen wir mal, unbedeutenden Preis. Wieder ein glücklicher Gast mehr. Ein Denkmal für Ermes gibt es auch. Er sitzt da übrigens vor meinem Palazzo.

Bild nicht von mir sondern aus o.g. Artikel. Quellenangabe italienisch verwirrend und daher für mich unmöglich. Ich habe es versucht.

Nach diesem Erlebnis entere ich das Kraftfahrzeug und fahre ein wenig nach Norden, nach Nonantola. Die Kirche des Klosters von Nonantola ist, wie der Dom in Modena, feine, schlanke, große, kühle Romanik. Am frühen Nachmittag sind alle Türen geschlossen und die Frühsommerhitze schwirrt über der Stadt. Man muss nur gegen die Tür der Klosterkirche drücken, dann geht sie auf.

Hier ist besonders die Krypta unter dem Chor besuchenswert. Sie wird gestützt von, das schreibt der Reiseführer, den hier wiederverwerteten Resten von uralten Säulen. Sie ist aber auch überaus elegant gegliedert, wieder ein Hinweis darauf, dass Stil in Italien nicht erst seit wenigen Jahrzehnten gepflegt wird. Hier möchte man einfach bleiben, in Gegenwart von Heiligen, denn hier ist es nicht nur klimatisch kühl.

Der Weg führt mich dann nach Carpi, der Kleinstadt in der Po-Ebene, in denen der fürstliche Größenwahn einen Hauptplatz von ungeahnter Größe erschaffen hat. Der Wandel der Stadt, die Bedeutung des Marktplatzes, hier kann man ihn erleben, noch viele Jahrhunderte später. Carpi hält ein Nickerchen, noch sind viele der Geschäfte über die warmen Mittagsstunden geschlossen, aber bald wird es auch dort wieder lebendig. Die hervorragende Bäckerei, in der es 2006 so leckeres Naschwerk gab, ist leider nicht mehr da. Aber der Weinladen. Dennoch geschlossen.

Zurück in Modena weile ich ein paar Viertelstündchen in meinem Palazzo und strebe dann in die Stadt zum Abendessen, doch im Gegensatz zu gestern ist am Montag Abend hier so gut wie alles zu. Die von Gusta Modena empfohlene "Antica Trattoria Cervetta" war auch nicht gerade voll, der Patron schien nicht zufrieden, aber sie füllte sich dann doch und brachte mir ein anständiges Risotto mit Spargel auf den Tisch, ist ja nicht einfach so ein Risotto, dazu bedarf es einer italienischen Mamma und etwa zwanzig Jahren, dann eines deutschen Au-Pair-Mädchens mit Begabung zum Kochen, aber das führt jetzt zu weit, dazu Wein, und sehr guten Schokoladenkuchen zum Nachtisch. Nach einem anschließenden Digestiv in der Bar neben dem Dom hat sich auch die Stadt wieder belebt, die Kneipen sind offen, die Studenten drinnen und draußen und lustig. Es ist warm und freundlich.

Ich bin durch für heute.

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25 Mai 2008

Im Frühsommer nach Modena

Mir scheint, das UNterwegssein auf Reisen ersetzt unsereinem jene Betätigung des rein ästhetischen Triebes, der unseren Völkern beinahe völlig abhandengekommen ist, den die Griechen und die Römer und die Italiener der großen Zeiten hatten und den man noch etwas in Japan findet, wo kluge und keineswegs kindische Menschen es verstehen, am Betrachten eines Holzschnitts, eines Baumes oder Felsens, eines Gartens, einer einzelnen Blume die Übung, Reife und Kennerschaft eines Sinnes zu genießen, der bei uns selten und schwach ausgebildet erscheint. Das reine Schauen, das von keinem Zwecksuchen und Wollen getrübte Betrachten, die in sich selbst begnügte Übung von Auge, Ohr, Nase, Tastsinn, das ist ein Paradies, nach dem die Feineren unter uns tiefes Heimweg haben, und beim Reisen ist es, wo wir dem am besten und reinsten nachzugehen vermögen. Die Konzentration, die der ästhetisch Geübte jederzeit sollte hervorrufen können, glückt uns Ärmeren wenigstens in diesen Tagen und Stunden der Losgebundenheit, wo keine Sorge, keine Post, kein Geschäft aus der Heimat und dem Alltag uns nachlaufen kann. In dieser Reisestimmung vermögen wir, was wir daheim selten vermögen, stille, zwecklose, dankbare Stunden vor ein paar herrlichen Bildern hinzubringen, hingerissen und offen den Wohlklang edler Bauwerke zu vernehmen, innig und genießerisch den Linien einer Landschaft nachzugehen. Hermann Hesse, 1913
Die Deutsche Bahn mag mich nicht. Oder genauer, sie mag es nicht, wenn ich nach K., in die andere große Stadt am Rhein, fahren möchte. Einige diesbezügliche Versuche von mir in der Vergangenheit endeten oft frustrierend, meistens überraschend und stets nicht in K.

Aber da will, da muss ich heute hin. Denn in K. ist der Flughafen, von dem der Flieger startet, der mich nach Italien bringt. Also mache ich mir die Deutsche Bahn gnädig und kaufe eine Fahrkarte für das langsamste, lähmendste Verkehrsmittel zu meinem Ziel, die S-Bahn. Mit diesem Opfer wähne ich eine gewisse Gefügigkeit einzukaufen, die Bereitschaft, es dieses Mal nicht so schlimm mit mir zu treiben. Und tatsächlich trägt mich die S-Bahn zu meinem Ziel. Nicht ohne Zwischenhalte und Umsteigestationen, natürlich nicht. So habe ich an diesem sonnigen und nicht zu kühlen Sonntagmittag ausgiebig Gelegenheit, mich von der Schönheit der Außenbezirke von Leverkusen zu überzeugen.

Vieles an kleinen Städten in der deutschen Provinz ist ein Graus: die ausfransenden Stadtränder, die geschmacklos umgebauten Häuser, die ineinandergeschachtelten Gewerbegebiete. Diese Gegenden sind amorph, unsortiert, ohne den Willen zu Ordnung, Geschmack oder Urbanität. Aber heute dienen sie mir zur innerlichen Vorbereitung auf den Vorstadthorror in Italien. Auf den unbedingten Willen, in der hässlichsten Umgebung der Einfallstraßen neu erbaute Glaspaläste leerstehen zu lassen. Auf die verwaisten und verwahrlosten Parkplätze von Schwimmbädern, die kurz nach deren Eröffnung bereits wieder verrammelt sind. All dieses verschwimmt am Rande der italienischen Stadt ineinander, fliegt ohne Unterlass an der Landstraße am Autofenster vorbei, getrennt nur von schlecht asphaltieren Zufahrten und eingesprenkelten alten schmutzigen Wohnhäusern. Es ist der Gegenentwurf zur Stadt, zur geschlossenen Architektur, vielleicht ein Ausdruck des Überdrusses an Stil, vielleicht auch nur der Bereitschaft, sich den Stil lieber für zu Hause aufzusparen. Oder der Gleichgültigkeit, wenn es nicht so drauf ankommt.

So greife ich gedanklich voraus, in dem Wissen, mir dies in wenigen Stunden wieder ansehen zu können. Ein geschäftlicher Termin in Norditalien im Mai - nun es gibt schlimmeres. Die Anzeigetafel am Flughafen gibt die Richtung vor, mein Ziel führt auf der Temperaturskala.

In Bologna ist es früher Nachmittag, leicht bewölkt aber freundlicherweise deutlich wärmer als in Deutschland. Kein Anflug von italienischer Behäbigkeit bei der Gepäckausgabe, dafür ein deutlicher Anflug von italienischem Leben im Flughafencafe, denn dort gab es den ersten Espresso und damit ist alles wieder im Lot. Es ist ein Gefühl, in der Ferne anzukommen wie in der Heimat. Dabei ist es keine Heimat. Nur ein Espresso. Funktioniert trotzdem.

Der bereitgestellte Neuwagen findet meine Zustimmung und auch die der übrigen Autofahrer auf der SS 9, der uralten Via Emilia, die scheinbar schon immer Mailand mit Rimini verbindet. Diesmal bereise ich sie in die entgegengesetzte Richtung, mit dem Ziel Modena. Früher führte diese Hauptverkehrsachse direkt durch die Städte, die wie an einer Perlenschnur an ihr aufgereiht liegen, heute aber haben die Italiener ihr Herz für die Tangentiale entdeckt und damit der Lebensqualität in den Städten deutlich Vorschub geleistet. Die Tangentiale darf man sich als schlaglochgesprenkelte Ringstraße mit Autobahncharakter vorstellen, einmal um die Stadt in sicherem Abstand zum centro storico, auf der die Italiener mit ihren Alfa ein wenig Nuvolari spielen. Also denkbar problemloses und rasches Vorankommen, durch die Vorstadthölle und dann westlich der Altstadt von Modena auf einen großen Parkplatz. Normalerweise jedenfalls, denn dort ist heute - es ist ja Sonntag - der Antikmarkt. Meinen geliebten Mercedes-Oldtimer hätte ich dort direkt dazugestellt, aber der ist zu Hause und so stelle ich mein Ersatzauto draußen ab und wandere an den Ständen entlang und kaufe - nichts, kein Porzellan, kein Silber, keine Lampen, Bücher, Drucke, Stoffe, Möbel, keine uralten Werkzeuge, keine Oldtimerzeitschriften - halt, doch! Drei. Die Preise der alten, also richtig alten Bücher sind stramm. Aber wenigstens sind diese nicht so leicht zu fälschen wie die Möbel. Nächstes Mal nehme ich einen Dendrochronologen mit. Das ist kein technisches Gerät sondern ein Student.

Von diesem Platz aus sind es zwei Minuten zu Fuß in die Altstadt von Modena, und nur eine weitere Minute bringt mich zu meinem Palast für die nächsten Tage. Wunderbar gelegen mit dem obligatorischen Blick auf die kleine Kirche und ohne Autoverkehr, und hier beziehe ich mein Zimmer im zweiten Stock, mit Stuckdecke, Holzdielen und den schönen Fensterläden. Doch nicht länger als nötig hält es einen Nordeuropäer drinnen, denn draußen spielt das Leben. Es ist Sonntag, und die Italiener feiern ein religiöses Fest mit Prozession durch die Altstadt. Würdig schreiten die Kirchenmänner vorneweg, mit erhobenem Kreuz, würdig schreitet an beiden Straßenrändern das Volk hinterher. Würdig biegen alle zusammen auf die Via Emilia und dann zum Dom ab und feiern dort weiter. Ich feiere lieber mein eigenes kleines Fest mit einem Martini in dem kleinen Cafe unter den Arkaden an der Via Emilia Est und dann in einer der wenigen heute geöffneten Trattorien mit Pasta und Lambrusco.

Ein zweiter Rundgang durch die Stadt, es ist draußen noch hell, führt mich gegen 9 in den Dom. Drinnen in diesem romanischen Wunderwerk aus dem 11. Jahrhundert ist es aber dunkel, die Tiefe des Raumes verliert sich in der Schwärze, nur von diffusem Licht der schmalen Fenster ganz schwach erhellt, und am schwach erleuchteten Terrakotta-Altar der S. Caterina an der linken Wand des Doms haben sich wenige Menschen versammelt und beten einen Ritus der Hl. Maria, mit Vorsprecher, und ansonsten ist es ganz still. Um genau halb 10 ist die Anbetung beendet, die Herrschaften erheben sich und gehen, und zugleich mit dem Schlag des Uhrenturms dröhnt Rockmusik in den Dom hinein. Auf der Piazza direkt am Dom ist ein Konzert, mit großer Bühne und Show, ein paar hundert Menschen haben sich schon zum Feiern versammelt aber solange im Dom gebetet wird ist Ruhe, ich bilde mir ein aus Rücksicht statt auf Befehl, danach erst geht es los. Und wie. Der nun wolkenlose Himmel dunkelt langsam von mittelblau nach dunkelblau nach schwarz, unten ist es warm und gerade richtig ein wenig windig und die orangen Lampen tauchen die Piazza in ihr italienisches Licht, und vorne explodiert die Rockband. Eine Schande, dass keine Touristen da sind. Ihnen würde Italien plötzlich noch mehr gefallen. Und ich gehe in der Dunkelheit nach Hause.

Willkommen in Modena.

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