Dienstag. Superwetter: 0 Grad kalt und sonnig und wolkenlos.
Der Autor konnte bis heute etwa um Viertel nach 11 ohne rot zu werden behaupten, noch nie in Venedig gewesen zu sein. Allenthalben hörte ich die tollsten Geschichten und schwärmerischen Berichte davon, aber gesehen habe ich Venedig noch nie. Um die meinem Sternzeichen angemessene Jungfräulichkeit wenigstens in Bezug auf Venedig recht lange zu erhalten habe ich mich auch im Vorfeld der Reise zurückgehalten. Als Reiseführer erstand ich den roten Band vom Touring Club Italiano, worin keine Bilder sind aber dafür Zeichnungen von jedem Palast entlang des Canale Grande inklusive ausührlichster Beschreibungen. Nur für die Stadt Venedig ist dieser Reiseführer über 700 Seiten dick, und er bespricht nur Kunst und sonst nichts. Ich kenne Bilder vom Canale Grande nur von Canaletto und Konsorten. Ich war da echt noch nie. Die Spannung steigt.
Das nennt man neumodisch "Erwartungsmanagement". In diesem Fall hier bedeutet es, dass die Erwartung maximal hoch ist. Und eigentlich nur enttäuscht werden kann. Vorab: Sie wurde nicht enttäuscht. Sie wurde weit übertroffen.
Also los morgens mit dem Frecciarossa von Ferrara nach Venedig. Superwetter, oder sagte ich das schon?
Ankunft in Venedig pünktlich. Und nun? Was ist der erste Eindruck von Venedig?
Der erste Eindruck ist der Bahnhof natürlich. Ich hatte ein Monster erwartet a la Roma Termini, aber nein. Ein supereleganter Flachbau zum Canale Grande hin, zur Zeit des Faschismus erbaut mit unverkennbaren Zeichen aber absolut italienisch. Sehr italienisch auch die Baustelle direkt vor dem Portal, so dass es sich nicht lohnt Bilder davon zu machen. Bilder gibts im Internet.
Der nächste Schritt war, eine Bootsfahrkarte für den ganzen Tag zu erstehen. Das Internet rät dringend dazu, vorab irgendwelche Voucher zu buchen und dann an Automaten auszudrucken. Man kann auch einfach an den Automaten gehen, zweimal auf den Touchscreen drücken und sich 25 Euro von der Kreditkarte abziehen lassen. Dauert nur Sekunden. Vermutlich reichen im Sommer die drei Automaten an der Anlegestation am Bahnhof nicht für den Andrang. Achtung: Auch das Tagesticket muss jedesmal "entwertet" werden bevor man ein Boot besteigt.
Der Vaporetto-Verkehr erscheint vielleicht zunächst verwirrend aber ist es eigentlich nicht. An den einzelnen Stationen gibt es häufig mehrere Trajekte, die dann mit Buchstaben durchgezählt sind also "Ferravia A", "Ferrovia B" und so weiter. An einem solchen Trajekt halten in der Regel nur Boote in eine Richtung von einer Linie, so dass man hier eigentlich nicht durcheinanderkommen kann.
Dazu hatte ich mir vorgenommen, NICHT vom Bahnhof aus den Canale Grande herunterzufahren und es mir gleich richtig zu geben, sondern vielmehr gegen den Uhrzeigersinn in und durch den Giudecca-Kanal zu fahren und sich San Marco dann vom Wasser her zu nähern. Linie 2 vom Steg "Ferrovia A" macht das. Es hat auch funktioniert. Es ist grandios.
Wie immer kann man auf die Bilder klicken, dann werden sie größer.
Ich sehe das zum ersten Mal in meinem Leben. Grossartig, oder sagte ich das schon? Einmal gelandet ist klar, dass wir hier auch im Januar nicht alleine sind, aber kein Problem. Auf der kleinen Piazza wird gebaut, die große Piazza ist groß und leer. Vor San Marco sind keine Schlangen, mehr geht einfach rein.
Was dann kam hatte ich nicht erwartet. Natürlich liest man im Reiseführer (der ohne Bilder) und denkt sich seinen Teil. Auch habe ich ja schon dies und das gesehen auf der Welt. Aber sowas habe ich noch nicht gesehen.
Damit könnte man den Tag beenden. Ich habe alles gesehen.
Oder weiter. Zu Fuss zur Akademiebrücke und dann entlang des Rio d. San Trovaso zur Osteria Al Squero. Das ist eine sogenannte "Cicchetti"-Bar, venezianische Tapas oder Pintxos wie die Spanier sie nennen würden. Der Laden ist winzig und man sitzt aufeinander bei guter Stimmung. In der Theke gibt es Versionen von cicchetti mit Gemüse, Fisch oder Fleisch (also zum Beispiel mit Lardo belegt). Am Ende sind es Scheiben von Stangenbrot mit einer Scheibe Salami drauf. Das Internet ist von dem Laden begeistert aber vermutlich sind es Touristen die froh sind, überhaupt irgendwo in Venedig etwas zu essen bekommen zu haben. Gut ist es nicht, trockenes Brot vom Morgen mit einer Scheibe Lardo oder sowas, jede Spanierin und jeder Spanier wäre sofort getürmt. Aber gemütlich.
Und wer sagt eigentlich es sei immer voll in Venedig?
Von da den schönen Spaziergang am Südufer des Dorsoduro entlang bis zu Santa Maria delle Salute im prallen Sonnenschein, denn entlang des Canale Grande zurück. Dann in die Ak(k)ademie.
Der Laden ist eine Katastrophe für Besucher, die Führung geht nicht weil irgendwie alles andersherum ist heute. Natürlich ist das das herausragende Museum für venezianische Kunst des 16. Jahrhunderts und später. Ich selber kann damit so viel nicht anfangen, ich (wir hatten das schon bei der Ausstellung in Ferrara) lebe im Kopf etwas früher. Nichtsdestotrotz ist das hier toll. Nicht zu Venedig gehören ein paar überraschende Bilder: Ein kleines von Piero della Francesca, das mir nichts sagt aber die schönen Hügel von Sansepolcro im Hintergrund hat, und zwei und ein 4/3 Triptychon von Hieronimus Bosch was mich hier überrascht aber die stehen da einfach so und man kann seine Nase drandrücken anders als in Madrid, wo da noch 1000 andere Leute vorstanden.
Dann natürlich Säle über Säle von der Mutter mit dem Kind und dem Kind am Kreuz. Sehr schön ist ein kleiner Raum, den man fast übersehen könnte, mit einem großen Bild von Tizian am Originalort:
Ein wenig gemaltes Motiv, der Tempelgang der (dreijährigen) Mariä. Das Kind leuchtet aus dem Bild heraus.
Einmal Tizian immer Tizian, also zur Frari-Kirche. Da gerade ein Boot kommt dann halt mit Boot. Also dann doch: Der Canale Grande vom Wasser aus. Mir stockt der Atem.
Die Frari-Kirche fährt im Januar ein Sonderangebot: Eintritt für 2 Euro statt 5 Euro. Dafür schaue ich mir dann auch nur ein Bild an, ganz hinten am Altar. Die Kirche selber hätte man ruhig ein wenig größer bauen können. Viel zu bescheiden.
Das liest sich jetzt alles so angenehm und kurzweilig aber es wird mittlerweile dunkel draußen. Also jetzt doch mit dem Vaporetto über den Canale Grande zurück zum Bahnhof. Das volle Programm.
Zurück nach Ferrara mit dem Regionalexpress, Ankunft in Ferrara pünktlich. Ein Stück Pizza und dann weiter im Kulturprogramm zum Klavierkonzert in dem wundervollen Theater von Ferrara.
Eine Loge für mich alleine im 2. Stock mit perfektem Blick auf die Finger von Andrea Lucchesini und sehr gutem Klang. Er spielt
Luciano Berio - Six Encores
Franz Liszt - Sonata in si minore S178
Luciano Berio - Sequenza IV per pianoforte
Fryderik (so schreiben die Italener ihn) Chopin - 24 Preluden op. 28
Zugaben: Chopin und Prokofjiew.
Sehr gut und schön lang. In dem Theater habe ich schonmal ein Konzert gehört, Matthias Goerne hat damals zu Alexander Schmalcz am Klavier die "Schöne Müllerin" gesungen - das werde ich meinen Lebtag nicht mehr vergessen. Das Publikum erstarrte.
Piero-Zähler: 8.