Tag zwei mit dem Fiat Panda, also früh raus bei 3 Grad, Nebel und Regen. Das Ziel der Reise heute ist Mantua (Mantova), das von Ferrara aus nach der Meinung von Google Maps so zu erreichen ist: Autobahn nach Süden bis Bologna, Autobahn nach Westen bis Modena, Autobahn nach Norden bis Mantua. Woran erinnert mich das?
There is no direct phone service to East Berlin. You have to call Stockholm, from there go through Warsaw to Leipzig, then to East Berlin. And then nine times out of 10 you get the wrong number. Schlemmer, 1961.
Dabei muss das nicht so ein. Es ist ja nicht so, dass zwischen Ferrara und Mantua keine historischen Banden bestünden. Isabella d'Este, die Tochter des ferrareser Fürsten Ercole I d'Este, war schon 1480 im Alter von sechs Jahren an Francesco II Gonzaga, den Sohn des in Mantua herrschenden Federico I Gonzaga versprochen worden, den sie 1490 dann auch heiratete. Sie etablierte sich in Mantua als Gönnerin und Förderin der Künste, auch als Schatten-Regierungschefin, dann als Regierungschefin und schließlich als die "prima donna del mondo" ("First Lady" der Welt). Zwischen Mantua und Ferrara sind die Beziehungen in der Folge nicht immer die besten, als Lucrezia Borgia als Frau der Bruders von Isabella in Ferrara auftaucht und eine längere Affaire mit Isabellas Mann Francesco hat. Man mag also durchaus nicht selten zwischen Ferrara und Mantua hin- und hergefahren sein, aber man hat ein Boot auf dem Po genommen und nicht die Staatsstraße 482. Das Buch der ausgewiesenenen Italienkennerin Friedrike Hausmann über Lucrezia Borgia erzählt diese und viele andere Geschichte(n): https://www.chbeck.de/hausmann-lucrezia-borgia/product/26144770.
Die schlussendlich vom Routenplaner vorgeschlagene Strecke ist diese hier:
Man braucht 90 Minuten für 90 Kilometer und die Straßen sind furchtbar. Es beginnt mit einer Fahrt durch die industriellen Vororte von Ferrara, dann über den Po und sofort links über mehrere Kilometer auf einer schmalen schlechten Straße auf dem Po-Deich entlang. Landeinwärts liegen kleine Dörfer, wie sie aus der Eingangssequenz der Filme von "Don Camillo e l'onorevole Peppone" nur zu bekannt sind: Niedrige geduckte Häuser, ein Kirche von gigantischen Ausmaßen und ein Glockenturm. Dieser Deich ist nicht wirklich alt, überall in Ferrara findet man Bücher mit Photos von Überschwemmungen des Pos in den 50er Jahren. Vor 60 oder 70 Jahren wurde man in den Dörfern hier noch regelmäßig überschwemmt, ein Entwicklungsland (sowas gibt es heute in Europa nur noch in Großbritannien, kein Entwicklungsland sondern ein "undeveloping country").
In Boaria Gilliola verlasse ich den Damm um schlussendlich auf die Hauptstraße zu kommen. Direkt am Deich treffe ich dabei eine braun-schwarz getigerte Katze, die hier im Nebel und Regen auf Mäuse geht. Ich stelle den Fiat Panda zu Seite und wir unterhalten uns ein wenig.
Neulich saß ich vor dem kleinen Theaterchen „Ambassadeurs" in den Champs-Elysées, unter grünen Bäumen. Um meine Bank strich mehrere Male eine große, gut genährte Katze, grau mit schwarzen Flecken. Wir kamen so ins Gespräch – sie fragte mich, wieviel Uhr es sei –, und da stellte sich heraus, daß sie aus Insterburg stammte. Nun kenne ich Insterburg sehr genau – ich habe da seinerzeit gedient –, und wir waren gleich im richtigen Fahrwasser. Sie kannte erstaunlich viele Leute, und wir hatten auch gemeinsame Bekannte: eine Verwandte von ihr war bei meinem Feldwebel Lemke Katze gewesen, sie wußte gut Bescheid. Meine Stammkneipe kannte sie und das Theater und die Kaserne und alle möglichen Orte. Ja, es ist sogar möglich, daß wir uns einmal gesehen hatten, im Schützenhaus zu Palmnicken, aber da hatte ich natürlich nicht so darauf geachtet. Kurt Tucholsky "Die Katz", 1928.
Diese hier jedenfalls bestätigt mir, dass es die Mäuse sind die sie gerade interessieren. So sieht man, dass der einen gefällt wofür der andere kein Verständnis hat - im Winter nach Ferrara fahren oder solche Ideen halt.
In Mantua zuerst Regen, dann Espresso (1,30 Euro ist mittlerweile der normale Preis), dann in den Palazzo Ducale. Der Rundgang ist nicht so ausgelegt dass das Erleben langsam gesteigert wird, er fängt mit dem Paukenschlag an: Camera degli Sposi von Mantegna.
Es ist, was ja auch so gedacht war, sehr sehr wenig los und ich kann mir alle Zeit der Welt nehmen, die wundervollen Bilder und ihre Details zu studieren. Im Sommer darf man 5 Minuten bleiben, im Winter solange man möchte. Das Muster auf der Wand links im letzten Bild wird unterhalb der Bilder in der Raumausstattung wieder aufgenommen, Und solche Sachen.
Das ist aber keinesfalls alles. Man darf dann durch den ganzen Palast und das Kastell, und was die Fürstens da gebaut haben ist überwältigend. Es ist heute kaum verständlich, welche unglaublichen Mengen von Geld das gekostet haben muss. Und es hört und hört nicht auf. In diesem Palast kann man Tage verbringen ohne sich zu langweilen. Ich gebe es irgendwann auf zu photographieren, es ist mehr und mehr und mehr.
Erschöpft rette ich mich zu Leoncino rosso.
Die aufmerksame Leserin erinnert, dass ich mich an meinem ersten italienischen Tag gestern mittags von deutschen Käsebroten ernährt habe. Das wiederum bedeutet, dass mich hier das erste Mittagessen in Italien seit sieben oder acht Jahren erwartet. Der Laden ist eine Hosteria, man isst bodenständig und wuselig, es ist voll, ein ständiges Kommen und Gehen erhält die Laune, alles locals. Wir essen keine Gänse sondern:
Agnoli in brodo
Spezzatino alla Mantovana (ein Kalbsgulasch, das mit Kartoffeln und Bohnen gekocht wird)
Zuppa inglese
Glas Wein
Flasche Wasser
Espresso
33 Euro.
Beim ersten Löffel agnoli standen mir Tränen in den Augen. Ich hoffe, es haben alle und es hat niemand bemerkt. Das Essen ist tadellos. Und als ich mich ins Freie rette scheint die Sonne. Also noch rasch einkaufen in der wundervollen Altstadt von Mantua, im Januar ganz ohne Touristengruppen und Amerikanerinnen. Die lokale Süßigkeit ist die sbrisolona, das ist ein Streusseltaler den man in Stücke zerbröselt zum Nachtisch isst. Er ist mit Vorsicht zu behandeln und macht bestimmt nicht dick.
Das ist hier eine Sbrisolona - meine eigene Sbrisolona (in memoriam).
Um nun die Sammlung zu vervollständigen fahre ich rasch zum Palazzo Te am Rand von Mantua. Der Fürst hat sich hier eine Sommerfrische gebaut, draußen ganz klein und bescheiden, nur eingeschossig, mit einem Park drumrum. Er wäre sicher nicht auf die Idee gekommen, eine Eisenbahnlinie direkt daran vorbeizuführen, aber ich glaube da durfte er nicht mehr mitreden.
Drinnen ebenfalls ganz bescheiden.
Der Knüppel liegt da nicht ohne Absicht. Die beiden jungen Frauen rechts unten im Bild sind begeistert.
Das wars. 90 Minuten Schlaglochpiste zurück, wieder im Regen. Dann Wein und Käse und Brot und Wurst in meiner Wohnung.
Kein Spaziergang mehr wegen Regen halt. Drinnen ist es auch warm.